KI in der Medizinphysik – ein bisschen wie „wünsch dir was“
Nein, es geht bei Künstlicher Intelligenz (KI, englisch: Artificial Intelligence, AI) nicht nur um Chatbots. Auch in der Medizinphysik kann KI helfen, Prozesse zu optimieren und Fachkräfte zu entlasten. Dr. Daniela Eulenstein, Research Scientist bei PTW, erklärt, wie das in der Strahlentherapie und in der Dosimetrie konkret aussieht.
Was ist der Nutzen von KI-basierter Datenverarbeitung?
Ohne KI war das Vorgehen folgendermaßen: Es galt, ein ganz konkretes Problem zu lösen, und dafür wurde ein Algorithmus entwickelt. Der hat dann genau dieses Problem mit den entsprechenden Randbedingungen gelöst, also vorwärtsgerichtet. Mit KI wird dieses Prinzip umgedreht, es ist ein bisschen wie „wünsch dir was“. Die Entwickler überlegen sich, was die Anwendung können soll. Anschließend geben sie der KI Beispiele. Voraussetzung ist also eine große Menge an Trainingsdaten, um die KI zu trainieren. Wir als Medizinphysikerinnen und Medizinphysiker müssen dann gar nicht mehr im Detail überlegen, wie genau die KI zum Resultat kommt – die zugrundeliegenden Zusammenhänge erkennt die KI eigenständig. Kurz gesagt: Ich habe jetzt die Möglichkeit, ein neuronales Netz nach meinen eigenen Wünschen zu trainieren.
Wie sieht das speziell in der Medizinphysik aus? Haben Sie ein Beispiel?
Die Medizinphysik darf sich in der Medizin auf jeden Fall als Vorreiter bezeichnen, was den Einsatz von KI betrifft. Ein gutes Beispiel aus der Strahlentherapie ist die automatische Konturierung. Hier wurde der Gebrauch von KI recht früh eingeführt und auch schnell akzeptiert. Die Konturierung ist essenziell für die Strahlentherapie, da wir bei Bestrahlungen genau wissen müssen, welche Struktur des Körpers sich wo befindet. Es geht also darum, auf einem CT-Scan die Organe des Patienten zu markieren: Niere, Leber, Knochen etc. Bisher wurde das von Menschen gemacht. Aber je komplexer die Strukturen sind – denken wir beispielweise an das Gehirn, wo der Verlauf des Sehnervs genau markiert werden muss, da er sehr strahlensensibel ist –, desto zeitaufwendiger wird die Aufgabe für die konturierende Person.
Dass diese Aufgabe von einer KI übernommen wird, ist in vielen Kliniken heute auch schon Alltag. Und die Mitarbeitenden freuen sich, dass ihnen die KI diese monotonen und zeitraubenden Aufgaben abnimmt. Aber der Arbeitsaufwand reduziert sich damit nicht auf Null, sondern auf wenige Prozent. Denn es ist unabdingbar, dass am Ende ein Arzt oder ein Medizinphysiker auf das Ergebnis schaut – als letzte entscheidende Instanz. KI ersetzt also keine Fachkräfte in der Medizinphysik, sondern macht sie produktiver.
Auch bei den Bestrahlungssystemen selbst ist KI schon integriert. Hier ermöglicht der Einsatz der KI eine adaptive Strahlentherapie. Es wird also nicht mehr mit einer einmal erstellten Planung gearbeitet, wie das bisher der Fall war, sondern ad-hoc geplant. Der Patient legt sich in das Bestrahlungsgerät, wird gescannt und anschließend wird die individuelle Anatomie des Patienten in diesem Moment als Grundlage für die Bestrahlungsplanung genommen. Der Bestrahlungsplan passt sich also an eine gefüllte Blase oder eine verschobene Prostata an, jeden Tag aufs Neue. Allerdings ist auch hier die Präsenz eines Medizinphysikers und eines Arztes absolut notwendig. Er prüft jeden Schritt und muss letztendlich die KI-basierte Planung freigeben, bevor der Patient bestrahlt wird.